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deadwords » interviews 16.03.2015
Prezident – Was handfestes

Spätestens nach dem zweiten Konzert von Prezident war klar, wir müssen ihn für das DEAD Magazine interviewen. Ich selbst kannte Prezident erst durch sein Video zu „Menschenpyramiden“. Wieso eigentlich? Es gab einiges nachzuholen, dieser Prezident war über ein Jahrzehnt sehr produktiv gewesen. Unter anderem sprachen wir via Chat über die Zwänge von Marketing um wahrgenommen zu werden und andere Politik, Konzerte, sein bisheriges Schaffen, neue Projekte und Unabhängigkeit. „Beats werden wie schlecht geführte Interviews geglättet“, so heißt es auf der neuen Handfeste(n) EP. Na, dann mal los.

DEAD: Du hast eine beeindruckende Diskographie. Seit 2006 finden sich nur zwei Zeiträume (2009 und 2012), in denen du nicht mindestens ein Release rausgebracht hast, wobei 2012 sicher nicht unproduktiv war, was Rap angeht. Es folgten ein Release im Dezember 2011 und drei (!) in 2013. Du hast mal gesagt, 2008 bis 2010 sei vielleicht deine produktivste Phase gewesen. Was ist in dieser Zeit alles entstanden?

Prezident: Hauptsächlich “Alice”… mag das Release mit am meisten von meiner Diskographie, und das ist in wenig mehr als einem halben Jahr entstanden. Unmittelbar nachdem der “Kleine Katechismus” rauskam. Das war eine gute Zeit in der Hinsicht.

DEAD: Wie erwähnt, bist du schon einige Zeit aktiv. Woher nimmst du die Inspiration und auch Motivation über all die Jahre?

Prezident: Gute Frage. Wäre gut zu wissen, dann könnte ich das vielleicht situationsbedingt mehr in eine Richtung leiten, in der es nötig wäre.

DEAD: Man bekommt fast den Eindruck, so etwas wie Schreibblockaden oder Kreativpausen scheint es im Schaffen des Prezident nicht zu geben.

Längere Schreibblockaden habe ich nicht

Prezident: Ich werde noch ganz rot… Äh, weiß nicht. Längere Schreibblockaden habe ich tatsächlich nicht. Manchmal bin ich unkreativ, aber dann reicht’s eben nur für Exclusives. Oder Features von nur mittelhoher Qualität. Oder so. Ich glaube, der Trick ist auch, die Sachen gut aufzuteilen. Dass man nicht ein 24-Track Album macht, das nach der Hälfte langweilt und sich wiederholt, sondern stattdessen die Hälfte der Tracks auf eine EP zu packen oder sonst wie abseits rauszuhauen.

DEAD: Andererseits meintest du, dass das nach “Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte” der Fall war, und du damals wenig Motivation für ein neues Album hattest. Nun steht aber schon die “Handfeste EP” in den Startlöchern.

Prezident: Nee, ich war voll motiviert. Eingefallen ist mir tatsächlich nichts, aber das sind ja zwei paar Schuhe. Ich hatte voll Bock, direkt nach dem Album nachzulegen. Ich war auch noch mal wieder richtig Fan geworden, mit all dem geilen Scheiß, der in den letzten zwei Jahren rausgekommen ist. Aber mir ist nichts Gehaltvolles eingefallen und irgendwann, nach endlosem Action Bronson-Hören, bin ich durch das Scheiße labern wieder ins Rappen reingekommen… So sind dann “Schiebedach”, “Grammophon” und die ersten Tracks und Parts der EP entstanden.

Die EP war ja erst als Resteverwertung angedacht wie alle meine EPs auf denen ich seit Urzeiten die B-Ware sammel. Aber mit der Zeit haben sich die Tracks so entwickelt, dass sie eigentlich doch alle ganz geil wurden, nur eben weniger gehaltvoll. Es ist ja fast eine reine Battle-EP mit einigen Features und IndieFresseBeats, die zum Album nicht gepasst hätten. Aber die EP ist jetzt ein rundes, in sich geschlossenes Ding geworden.

DEAD: Handfest.

Prezident: Ein handfestes, rundes Ding. Ein Handball sozusagen.

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DEAD: In deinen Interviews hört man ein Schwanken raus, zwischen Musik für umsonst ins Netz stellen und dem lang gehegten Wunsch etwas auf Vinyl zu veröffentlichen (keine CDs). Du hast lange Zeit deine Musik zum kostenlosen Download angeboten und bist jetzt dabei, EPs und Alben zum ersten Mal kommerziell auf Vinyl zu releasen. Außerdem hörte ich, du hast deinen Job gekündigt und versuchst von deiner Musik zu (über)leben. Was sind deine neuen Erfahrungen und bisherigen Eindrücke mit dieser Wende, die du mit “Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte” vollzogen hast?

Das Leben von der Musik ist ja eh nur temporär gedacht

Prezident: Das Leben von der Musik ist ja eh nur temporär gedacht, läuft aber besser und daher auch schon länger, als ich selbst gedacht hätte. Als eine große Wende sehe ich das daher auch nicht. Ich bin teilweise doch noch überrascht worden, wie plump dieses Spielchen funktioniert.

DEAD: Was meinst du mit Spielchen und inwiefern ist es plump?

Prezident: Diese Statusspielchen im Rapgeschäft. Plump ist z. B. dieses Schielen auf Chartpositionen, obwohl jeder weiß, wie beschränkt deren Aussagekraft ist, da ja immer nur ausnahmsweise absolute Verkaufszahlen durchgegeben werden. Und man weiß ja auch, wie die Zahlen zustandekommen, dass es wichtig ist, worüber man verkauft, dass mittlererweile nach Umsatz gegangen wird und daher alle diese 50€-Boxen mit irgendwelchem Bonusschrott auf den Markt hauen.

Man sollte meinen, seitdem jucken die Positionen keinen mehr, aber stattdessen wird das stärker diskutiert als sonst. Absurd. Letztens hat rap.de eine News darüber gebracht, dass Seperate es nicht in die Charts geschafft hat. Darauf muss man erst mal kommen.

DEAD: Bei dem Wunsch die eigene Musik auf Vinyl zu pressen, kamst du auch auf die Vorzüge eines Picture-Covers mit 31,5 x 31,5 cm Fläche zu sprechen und meintest, dass du dich hüten würdest, deine “Fresse” darauf zu packen. Wie kam’s denn letztlich dazu, dass diese nun zumindest zur Hälfte auf “Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte” zu sehen ist? Woher kam die Idee zu dem Cover?

Prezident: Na gut, die halbe Fresse ist keine ganze Fresse. Ich bin ja so nicht hundertprozentig zu identifizieren. Das Cover war Flers Idee… Nee, meine. Haha.

DEAD: Wie kam es zu der Entscheidung gerade „Kleiner Katechismus“ nun auch auf Vinyl zu releasen, in der Menge deiner Veröffentlichungen? Ich meinte nämlich gelesen zu haben, dass du mit dem Album gar nicht so zufrieden bist?

Prezident: Naja, es ist mein erstes Full-Length-Album gewesen und es wurde von Fanseite her immer mal wieder danach gefragt, ob das nicht auf CD und/ oder Vinyl erscheinen könnte. Womit sonst hätte ich anfangen sollen mit dem Re-Releasen?

DEAD: Werden denn noch mehr deiner alten EPs und LPs eine Neuveröffentlichung erfahren? Ich finde „Neuste Erkenntnisse vom absteigenden Ast“ hätte das Vinylformat auch mehr als verdient.

Prezident: Kann sein, müsste man mal angehen. Hatte da bisher nicht so die Motivation, weil das Kleiner-Katechismus-Re-Release jetzt schon nicht schlecht lief, aber auch nicht die wahnsinns Cashcow gewesen ist. Außerdem gibt es das Artwork nicht mehr in vernünftiger Qualität, und nicht zuletzt hatte “Kleiner Katechismus” den Vorteil, auf eine 12″ zu passen, was bei NEVAA nicht der Fall ist. Dafür könnte man sich dafür noch unveröffentlichte Bonustracks aus der Zeit aus dem Arsch ziehen.

DEAD: „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ (KIEBG) hat viel breitere Aufmerksamkeit erfahren und neue Sachen werden sicher daran gemessen werden. Wie gehst du damit um, ein Faktor der vorher ja vielleicht unwichtiger war?

Prezident: Inwiefern daran gemessen werden?

DEAD: Erwartungen werden entstehen, ob bewusst oder nicht. Vielleicht auch bei dir selbst.

Ich bin ja selber Fan

Prezident: Ja eben, Erwartungen waren ja auch vorher immer da. Eben auch von mir selbst – ich bin ja selber Fan. Es ist so gesehen auch sicherlich keine schlechte Position, dass “KIEBG” nach außen hin teilweise wie ein Debütalbum wahrgenommen wird, aber eigentlich ja bereits mein 10. Release ist und ich längst weiß, was ich tue.

DEAD: In einem Interview von 2009 liest man, dass dir die Verbreitung deiner Musik nicht viel bedeutet, stimmt das nach wie vor?

Prezident: Hmmm, weiß nicht mehr, wie ich das in dem Kontext gemeint habe.

DEAD: Sagen wir mal, dir war es lange Zeit nicht wichtig, deine Musik auf anderen Plattformen oder in anderer Form (Stichwort: Videos) zu promoten.

Wenn die es nicht wahrnehmen und dann trotzdem rumheulen, dass alle deutschen Rapper gleich klängen, ist das eben so

Prezident: Naja, das hatte mehr was mit Gelegenheiten und Möglichkeiten zu tun. Das Ding ist: Ich habe eh Bock zu rappen, ich mach das eh. Aber zum Fertigstellungsprozess gehört ja mehr und dazu gehört ja dann noch Promo. Und das hat einfach selten funktioniert wie gedacht und dann gab es einfach Momente, wo ich mir gesagt hab: “Ach fickt euch.” Ich hab der Juice meine ersten Minimixtapes geschickt und das Album, wenn die es nicht wahrnehmen und dann trotzdem rumheulen, dass alle deutschen Rapper gleich klängen, ist das eben so. Und das in dem Interview war dann offenkundig so ein Moment.

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DEAD: Ich würde gerne speziell auf die Musikvideos eingehen. Es gab zwar auch früher schon mal Versuche, aber jetzt scheinst du konsequent darauf zu achten. Ist das ein Eingeständnis mit einem Seufzer, dass Musik nur noch mit Video beachtet wird oder kannst du dem Ganzen mehr abgewinnen?

Prezident: Naja, geile Videos sind ja auch geil. Ich seh das jetzt nicht als notwendiges Übel, sondern als Teil des Gesamtkunstwerks. Auch nicht nur so Konzeptdinger, ich mag so Performancevideos, selbst wenn sie 0815 sind. Dass ich das früher vernachlässigt habe, hatte auch mit Faulheit zu tun. Die ersten Videos von mir und Chao waren nur so mittelgeil, aber kamen mir ungeheuer anstrengend vor und deshalb hab ich es dann gelassen.

Im Nachhinein eigentlich ziemlich dumm, wenn man schon über Jahre an einem Text wie “Mise en Abye” schreibt, sich nicht auch noch mal ein paar Tage Mühe zu geben, ein anständiges Video zu drehen, damit das Album gebührende Beachtung erfährt. Aber naja, man ist sein Leben lang Azubi.

DEAD: Ich frage das auch deshalb, weil man den Eindruck gewinnt, dass du schon immer leidenschaftlich Drehbücher geschrieben hast (siehe die Tracks “In Wohlgefalln“, „Sechs Kammern“, “Schlingpflanzen”), aber keinen Gefallen an Kamera oder Schauspiel findest.

Prezident: Ich bin kein guter Schauspieler, ich kann mich so schon kaum auf den Beinen halten. Oder verstehe ich die Frage jetzt nicht?

DEAD: Ich hatte mich gefragt, warum jemand, der so durchdachte Geschichten in seine Tracks packt, kein größeres Interesse an eigenen Kurzfilmen hat. Gab es Ideen und war es nur eine Frage der Umsetzung?

Das Schöne an Rap ist, dass man diese Abhängigkeit sehr stark minimieren kann, wenn’s drauf ankommt

Prezident: Och, darauf hätte ich sicher Lust, aber zunächst mal hat mein Tag auch nur 24 Stunden und des Weiteren ist man dann sehr stark von anderen Menschen abhängig. Das Schöne an Rap ist, dass man diese Abhängigkeit sehr stark minimieren kann, wenn es drauf ankommt. Ich glaube, ich hatte schon mal Kurzfilmideen… also Ideen für Videos dann. Aber nie den Plan, einen Kurzfilm unabhängig von diesem Prezident-Ding zu machen.

DEAD: Wie ist das bei deinen Storytellern, musst du Beats finden, die zu deinen Texten passen oder findest du Beats, die dir die Geschichten abverlangen?

Prezident: Beats kommen, Ideen kommen und irgendwie findet beides zueinander. Da gibt es kein unbedingtes A vor B.

DEAD: Ok, bleiben wir noch einmal kurz beim Thema Film. Über deine literarischen Inspirationsquellen wie Charles Bukowski wurde schon vielfach gesprochen. Wie ist es mit Filmen als Inspiration? Du verwendest recht viele Samples aus diversen Filmen, nennst Titel in deinen Texten und auch einige Tracknamen sind an Filme angelehnt. Außerdem verwendest du auch fast ausschließlich Samples aus Soundtracks, wenn du selbst Beats baust, las ich.

Prezident: Ja, das hat sich mit der Zeit so ergeben… da bin ich ja auch nicht der Einzige. Filmsoundtracks sind generell immer eine großartige Samplequelle. Das mit den Filmsprüchen habe ich mir in erster Linie beim Fella abgekuckt, der hat das eine Zeitlang exzessiv betrieben. Ich finde diese postmoderne Kleisterei immer sehr atmosphärisch.

DEAD: Du studierst Geschichte und Germanistik auf Lehramt, wie wichtig ist Lesen um (etwas) Schreiben zu können?

Prezident: Kommt drauf an, was man schreibt, wa. Goethe hätte es als Analphabet nicht so weit gebracht, ODB hat’s nicht geschadet. Hmm… mir hat’s geholfen, denke ich.

DEAD: Ich nehme dich als einen relativ ernsten Menschen war, auch wenn deine Texte Humor haben. Über was kannst du Lachen?

Prezident: Bojack Horseman.

DEAD: Das kam aber schnell, haha…

Prezident: Ja, habe ich bereits als Tab auf. Bill Burr ebenfalls.

DEAD: Würdest du sagen, dass du ein Perfektionist bist? Vielleicht sogar ein Kontrollfreak? Du meintest ja, dass du die Unabhängigkeit des Rappens schätzt.

Ich bin eher pragmatisch und ökonomisch

Prezident: Nee, ich bin eher pragmatisch und ökonomisch. Tracks, die nicht perfekt sind, hau ich ja trotzdem raus, bevor sie auf der Festplatte vergammeln. Zu der Kontrolle: Man muss sich halt viel mit unzuverlässigen Leuten rumschlagen, es ist gut, die dann im Zweifelsfall absägen zu können. Deswegen ist es gut, von allem ein wenig Plan zu haben, es zur Not, wenn auch in schlechter, selber machen zu können. Aber generell ist es natürlich geil, wenn Dinge laufen. Ich meinte letztens schon, ich mache nur noch Features mit Elsta, der hatte die letzten Male immer schon einen fertigen Part parat, wenn ich ihm Beats gezeigt hab. Das ist entspannter als Leute, die Features zusagen und dann eine Woche vor Abgabe nicht mehr ans Handy gehen.

DEAD: Du hast in einem Interview gesagt, dass man als Individuum die Bezüge in denen Gesellschaft sich vollzieht, nicht macht, z. B. in Bezug auf Massentierhaltung. Das klingt für mich wie jemand, der um die Umstände Bescheid weiß (wie wohl die meisten), aber für sich eine Lösung finden muss, es mit sich in irgendeiner Art und Weise ausmachen muss, weil er sonst an diesem Wissen zugrunde zu gehen droht. Man könnte diese Aussage mit der Vorstellung vom Schmetterlingseffekt kontrastieren. Glaubst du nicht, dass viele kleine Veränderungen die Zustände und den Lauf der Geschichte verändern können?

Prezident: So wie die Frage höchstwahrscheinlich gemeint ist: Absolut nein.

DEAD: Hast du diesen Glauben einmal gehabt, ging er verloren?

Prezident: Eigentlich nicht. Vielleicht habe ich mich mal wohler dabei gefühlt, mich als jemand zu sehen, der wütend auf die Dummheit der Welt ist, das kann sein. Aber das ist vorbei. Ich gebe dieser Welt eine solide 5,5 auf einer Skala von 1 bis 10.

DEAD: Inwiefern siehst du dann Selbstbestimmung?

Prezident: Hmm, das musst du präzisieren. Vor allem sehe ich nicht den Zusammenhang zum Zuvorgesagten.

DEAD: Welchen Grad von Autonomie würdest du dir oder anderen als Individuum zuschreiben, dass in eben jenen Bezügen lebt, die es nicht verändern kann?

Das heißt [...], dass die gegenwärtige Beschaffenheit der Menschheit die Fähigkeiten dieser Menschheit übersteigt

Prezident: Das Problem dieser Frage und der sie verratenen Denkart ist, dass sie in zu großen, tendenziell globalen Dimensionen denkt. In diesen Dimensionen hat der einzelne Mensch überhaupt nichts zu entscheiden, er überblickt sie überhaupt nicht. Dass der einzelne Mensch diese globale Auswirkung hat, mag dabei durchaus sein. Das heißt aber nur, dass die gegenwärtige Beschaffenheit der Menschheit die Fähigkeiten dieser Menschheit übersteigt. Das ist blöd, aber da kann man dann eben nichts machen. Ein großer Mythos unserer aufgeklärten Epoche ist ja, dass man immer was machen könnte, dass es für alles eine Lösung gäbe – aber das ist eben ein Mythos. Das Mittelalter ist tendenziell vom Gegenteil ausgegangen und hat sich Gott anvertraut und diese Menschen waren nicht dümmer als wir, auch wenn das grade die weniger klugen Zeitgenossen glauben.

DEAD: Gerade auf deinen jüngeren Alben findet sich explizit Gesellschaftkritisches, das grundlegende Gedanken einfängt, z. B. Kritik an der herrschenden Form von Rationalität. Und du interessierst dich beispielsweise für die Entstehung der Vorstellung von eben jenem modernen bürgerlichen Individuum. Inwiefern beschäftigst du dich mit Tagespolitik?

Prezident: Wenig bis gar nicht. Dass, was die Leute als Tagespolitik bezeichnen, also vor allem auf nationaler, parlamentarischer Ebene, ist ein Furz im Wind. Bei allem darüber hinaus ist es schwer, zu einem wirklichen Verständnis zu gelangen. Ansonsten lese ich Zeitung, wenn ich prokrastiniere. So generelle Themen, die in der Luft liegen, wie diese allgemeine Besessenheit von Sex mit Kindern, die der mit Onanie im 18. Jahrhundert in nichts nachsteht, vor allem nicht in Sachen Albernheit, beschäftigen mich dann eher.

DEAD: Wegen eben jenen historischen Parallelen die du daraus ziehst?

Prezident: Auch. Die Paralle zwischen der Heftigkeit, mit der man heute Pädophilie diskutiert – und nicht einfach die Vergewaltigung von Kindern, die auch vor 200 Jahren Unmut auf sich gezogen hätte, sondern bis hin zu den jüngsten Anregungen zu einem Fotografieverbot auf Kinderspielplätzen – und dem Onaniediskurs im 18. Jahrhundert, in dem aus Nichts eine sexuelle Praktik, für die sich zuvor über Jahrhunderte niemand interessiert hat, als Erklärung für so ziemlich jedes medizinische und moralische Menschheitsproblem herhalten musste, ist tatsächlich verblüffend.

Es geht aber weniger um die Parallelen, die sich eh selten so eindeutig erkennen lassen, als um den Abstand zur Gegenwart, den man gewinnt. Man hat Abstand zu den Mythen und Bigotterien der Vergangenheit und kann mit dieser Erfahrung die Mythen und Bigotterien der Gegenwart als solche erkennen.

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DEAD: Mal zurück zur vermehrten Aufmerksamkeit, die man dir und deiner Musik in letzter Zeit widmet. Das wichtigste war dir, nach früheren Aussagen, mehr Konzerte vor mehr Menschen zu spielen. Wie kam es dazu, dass du Supportact bei einigen Konzerten der Hiob & Morlockk Dilemma “Kapitalismus Jetzt”-Tour warst? Bist du aktuell zufrieden mit den Konzerten?

Man setzt sich ja auch neue Ziele und entwickelt neue Bedürfnisse

Prezident: Es kam so zustande, dass mich deren damaliger Booker gefragt hat. Zufrieden bin ich noch nicht. Man setzt sich ja auch neue Ziele und entwickelt neue Bedürfnisse. Es gibt halt z. B. was Bühnenaufbau und ähnliches angeht noch Möglichkeiten, die man erst angehen könnte, wenn man noch regelmäßiger in Locations einer bestimmten Größenordnung und Beschaffenheit spielen würde. Aber es ist schon gut so, wie es aktuell läuft, die Shows machen eigentlich immer Bock und es ist immer ganz anständig Publikum da. Ansonsten mal schauen, spätestens nach dem Album wird auf Tour gegangen und dann mal sehen, wie es weiterläuft.

DEAD: Nach der “handfesten” EP?

Prezident: Nein, nach dem Album. Da kommt ja noch ein richtiges Album.

DEAD: Kannst und willst du dazu schon etwas mehr erzählen?

Prezident: Gute Frage. In erster Linie wird Jay Baez produzieren, es wird wahrscheinlich keine oder wenn, dann wenig Features geben. Aktuell sind zwei Tracks fertig geschrieben und weitere vier, fünf halbfertig. Das da oben mit dem “Ich-gebe-dieser-Welt-eine-Fünfeinhalb-auf-einer-Skala-von-Eins-bis-Zehn” verwende ich glaube ich auch noch mal als Line.

DEAD: Dann waren wir live bei der Geburt dabei! Gibt’s denn schon einen ungefähren Zeitplan, wann das Album erscheinen soll? Und machst du dir solche Zeitpläne überhaupt?

Prezident: Ende des Jahres, hoffe, das lässt sich einrichten. Gibt ja auch immer eine bestimmte Vorlaufzeit, anders als damals zu Downloadzeiten. Also, ja, ich mache solche Pläne.

DEAD: Du hast in letzter Zeit auch einige Konzerte zusammen mit Absztrakkt gespielt, den du sehr schätzt. Wie wichtig ist dir, mit wem du die Bühne an einem Abend teilst?

Prezident: Eher unwichtig. Da ist gegebenenfalls von größerer Bedeutung, mit wem man sich den Backstage teilt. Das Publikum ist natürlich auch noch ein Faktor, aber es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, mich als Sido-Support zu buchen.

DEAD: Sag das nicht zu laut…

Natürlich bin ich lieber auf ner Veranstaltung mit Absz als mit JBB-Hanswurst XY

Prezident: Also ich will sagen: Natürlich bin ich lieber auf einer Veranstaltung mit Absz als mit JBB-Hanswurst XY, aber das ist jetzt weniger so ein Künstlerding als einfach eine persönliche Angelegenheit. Tatsächlich laufen ja auch viele meiner Bookings über ältere Kontakte und Leute, die ich immer gerne wiedersehe wie die SBKler.

DEAD: Du hast den interessanten Gedanken geäußert, dass Rap sich so ausdifferenziert hat, dass es eigentlich niemanden mehr geben kann, der alle Teile gleichermaßen repräsentieren kann – und, dass Kool Savas damals vielleicht der Letzte war, dem das gelungen ist. Trotzdem hört man auch von dir, dass du zu den fünf besten Rappern gehörst usw. Ist das ein Relikt deiner früheren Battle-Tage, gehört das einfach für dich dazu und wie verhält sich das zu der anderen Einschätzung, die ja eigentlich so etwas wie eine übergreifende Bestenliste nicht zulässt?

Prezident: Ach, ich wollte einfach auf die Kacke hauen in dem Track. Als objektives Statement ist das jetzt nicht gemeint. Allerdings glaube ich tatsächlich, dass vieles, was ich mache, auf diesem Level nur bei mir passiert. An Storytelling auf meinem Level versuchen sich ja überhaupt nur eine Handvoll wie Hiob, Jintanino oder noch früher RAG. Oder auch an wirklich dichten Alben, die mehr sind als eine Ansammlung von möglichst gelungenen Tracks. Das Selbstbewusstsein ist schon da.

DEAD: Und wo würdest du dich in diesem Puzzle verorten? Mit welchen Teilbereichen von Rap hast du wenig zu tun, mit welchen viel bzw. identifizierst du dich vielleicht sogar?

Prezident: Naja, ist es jetzt nicht so, als hätte ich diese Teilbereiche kartographiert.

DEAD: …was sicher auch ein Unding wäre, hehe. Wie ist der Name “Prezident” entstanden und was bedeutet er für dich?

Prezident: Der ist aus EMP und EMPrezident entstanden und das hat schon nichts bedeutet. Ich hab mir damals in weiser Voraussicht überlegt, dass Namen, die eine enge Bedeutung haben, vielleicht irgendwann nicht mehr zu einem passen könnten und man daher mit etwas Nichtssagendem besser fahren würde.

DEAD: EMP war dein erster Künstlername, unter dem du hauptsächlich Battlerap gemacht hast?

Prezident: EMP war mein erster Künstlername, ja.

DEAD: Ich will dich nicht auf 10 Jahre alte Texte festnageln, aber in “Es gibt keine Konsensthemen” von 2006 rappst du: “Ich würd nicht wollen, dass mein Kind so wird, wie ich es bin und würde deshalb meine Sicht der Dinge nicht vermitteln können” und weiter “dieses Whiskeyding bringt, was ich fühle, auf den Punkt”. Das schillert. Und man bekommt bei deiner Musik eigentlich sofort den Eindruck, dass es dir um eine Art von Vermittlung geht. Ist das mehr das Vermitteln eines Lebensgefühls und weniger von etwas, dass man allgemein mit Wissen (als Information) verknüpft?

Würde ich Wissen und Information vermitteln wollen, würde ich keine Musik machen

Prezident: Eher Gefühl. Würde ich Wissen und Information vermitteln wollen, würde ich keine Musik machen.

DEAD: Gibt es das gar nicht in deiner Musik, dass du denkst, du müsstest etwas weitergeben, das dir an Wissen vermittelt wurde?

Prezident: Wenn ich schlaue Dinge unterbringen möchte, dann tu ich das, aber da denke ich dann nicht “Das müssen die Leute erfahren”, sondern es klingt halt gut und clever. Bonmot geht über Information.

DEAD: Du hast mal die Enttäuschung über ehemals von dir gefeierte Rapper angesprochen und damit die Schwierigkeit, sich über lange Zeit als Musiker nicht festzufahren, sondern innovativ zu bleiben, ohne sich dabei selbst zu verraten. Nun bist du auch schon ziemlich lange dabei, denkst du, du konntest diesem Anspruch gerecht werden?

Als Rapper hast du ja das Problem, dass du dich selbst inszenierst

Prezident: Ich meinte damit sogar explizit Rapper und nicht Musiker im Allgemeinen. Als Rapper hast du ja das Problem, dass du dich selbst inszenierst und dabei einerseits authentisch bleiben musst, aber gleichzeitig spannender als dein normales Ich. Das wird irgendwann zum Dilemma. Ob ich das hingekriegt habe, müssen andere beurteilen.

DEAD: Und denkst du, das ist etwas an dem man aktiv arbeiten kann oder verrät man sich im bewussten Versuch gleichermaßen?

Prezident: Klar, kann man daran arbeiten. Man kann sich aber auch bewusst dagegen entscheiden, noch mal über irgendwas anderes zu rappen als das, was schon mal für einen funktioniert hat. Gibt’s doch ein paar Beispiele für.

DEAD: Was dann bei den Hörern als Verrat aufgenommen werden könnte, weil die einem schon ein festes Bild verpasst haben.

Prezident: Du meinst umgekehrt, wenn man sich für was anderes entscheidet? Genau, das kann passieren.

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DEAD: Ja, stimmt. Ihr habt nicht nur einige Features gemacht, sondern du spielst auch viele Konzerte mit den Kamikazes (ehem. Kamikaze Brothers) zusammen. Sie sind zudem die einzigen Rapper, die auf Whiskeyrap.de unter der Rubrik “unmittelbares Umfeld” auftauchen. Dazu fand ich eine nette Anekdote. In einem deiner ersten Interviews (2008) wurdest du nach der Szene in Wuppertal gefragt und meintest, es gäbe da “[...] so Kiddies die irgendwie vor 5 Jahren angefangen haben zu rappen [...] mit denen hab ich immer noch Kontakt, die Kamikazes [...]“. Da scheint seit dem einiges gewachsen zu sein?

Ich kenn die Kamikazes schon seit Schulzeiten

Prezident: Scheint so, wa. Ich kenn die Kamikazes schon seit Schulzeiten, aber zwischenzeitlich, so zu Beginn der Prezident-Zeit hatten wir wenig Kontakt. Auf “Alice” haben die Jungs ja ein paar Beats und zwei Gastparts beigestreut und seit dieser Minitour mit den Antilopen 2012 ist das Verhältnis enger, seitdem sind wir ja eine Livecrew.

DEAD: Man hat auch den Eindruck sie passen sehr gut zum Credo von Whiskeyrap.

Prezident: Klar, die Jungs haben ja viel von mir mitgenommen. Inhaltlich und musikalisch sind da sicherlich starke Übereinstimmungen, aber eben doch auch andere Ansätze.

DEAD: Ist da in Zukunft neben der Livecrew mehr vorstellbar?

Prezident: Meinst du ein Album?

DEAD: Ja, genau.

Prezident: Vorstellbar sicher, war auch schon mal angedacht. Da stehen uns aber unsere unterschiedlichen Arbeitsweisen und -tempi im Weg. Zunächst mal schreibe ich erfahrungsgemäß bedeutend schneller und habe auch schon mal über ein Jahr oder so auf Parts von den Jungs gewartet. Andererseits stecken die zwei ja ziemlich viel Arbeit und Kreativität in die Beats. Ich bin es aus der Vergangenheit eher gewohnt, auf fertige Loops zu schreiben. Davon will ich auch wegkommen für mein nächstes Album. Aber es ist eine andere Herangehensweise, weil mich oft die ersten Beatskizzen der Kamikazes nicht so umhauen.

Für “Schlüsselreize” z. B. haben mich die Jungs nach einem Feature angehauen, aber ich fand den Beat in der ersten Fassung eher langweilig. Das Endergebnis finde ich aber brillant, da ist halt noch extrem viel passiert. Wie sich der Beat komplett verändert für Lukas, ist großartig. Und Jay Baez tut dem Ganzen soundtechnisch auch sehr gut am Ende des Entstehungsprozesses. Hinzu kommt dann, dass wir uns nur sehr unregelmäßig sehen, die Jungs wohnen ja in Offenbach.

DEAD: Du wurdest mal nach Schlussworten gefragt und meintest, dass du Wünsche, Träume und Visionen hast, aber keine Botschaften. Was also, möchte ich abschließend fragen, sind deine Wünsche, Träume und Visionen heute?

Prezident: Du hast echt viele Interviews von mir gelesen, was?

DEAD: Aber sicher.

Prezident: Ich bin noch nicht soo wach, für Wünsche, Träume und Visionen ist es noch zu früh, glaub ich.

DEAD: Damals waren es Umziehen und mehr Konzerte spielen.

Prezident: Umgezogen bin ich letztens erst wieder. Mehr Konzerte ginge immer noch.

DEAD: Danke fürs Interview!

Prezident: Nichts zu danken.

http://www.whiskeyrap.de/
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Foto(s): Katharina Hertle (www.k-pictures.de)
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