
Myka 9 – Please, pass the mic.
Michael Troy, Microphone Mike, Mikah9, Myka Nyne – um den 1969 geborenen Mitbegründer der stilbildenden Freestyle Fellowship greifen zu können, bleibt einem nicht mal ein fester Name. Will man seine Spuren finden, muss man Plätze suchen, an denen er sich bewegt, Platten, auf denen er sich verewigt, Menschen, die er beeinflusst hat. Jeder, der mit ihm zu tun hatte, scheint davon berichten zu müssen. Rap hat sich verändert, seit er sich in den späten 80ern erstmals überregional einen Namen machte, und auf den Fotos aus dieser Zeit ist so auch immer wieder ein auffallend ruhiger, wohl gute 2 Meter messender Mann zu sehen, der seine Umgebung mit einer Selbstverständlichkeit einnimmt, die man auf den flüchtigen ersten Blick mit Zurückhaltung verwechseln könnte. Er zeigt sich uns mit dem Bild, das die meisten auch von ihm behalten möchten: Als selbstvergessener, vom 9-5 Leben unberührter Künstler, dessen Exzentrik außerhalb einiger unvergesslicher Songs nur wohl dosiert gezeigt wird.
1989 startete im Good Life Café, einem Naturkostladen am Crenshaw Boulevard, South Central L.A., eine Open-Mic Reihe, die Rap für immer verändern sollte.
Die Geschichte des Rappers Myka Nyne – so die derzeitige Schreibweise – ist untrennbar verbunden mit der musikalischen Revolution, die sich in den 80er und 90er Jahren in L.A. anbahnte. 1989 startete im Good Life Café, einem Naturkostladen am Crenshaw Boulevard, South Central L.A., eine Open-Mic Reihe, die Rap für immer verändern sollte.Die Ladenbesitzerin B. Hall wollte inmitten eines der weltweit bekanntesten Problembezirke ein Zeichen setzen und schaffte es, eine nicht überblickbare Menge an talentierten und hungrigen Rappern Woche für Woche in ihren Laden zu locken, wo es an diesen Donnerstagen nur zwei Regeln gab: Wer flucht oder vom Publikum mit schallendem „Please pass the mic!“ bedacht wird, hat zu gehen. Keine Chance zur Verteidigung, keine Ausnahmen. Berühmt wurde so auch die Geschichte von Fat Joe, der aus New York anreiste, erstere der Regeln ignorierte, von der Bühne gebuht wurde, um dann, noch lauter fluchend, ziellos durch das dicht gedrängte Publikum geisterte. Dieses blieb davon unbeeindruckt und überlebt hat wohl grade diese Geschichte vom späteren Rap-Millionär, weil sich an ihr sehen lässt, welchen Status das Good Life schon zu diesem Zeitpunkt hatte: Man war ein durchgehend hohes Niveau gewohnt, wusste, dass nur wer sich seiner Fähigkeiten absolut sicher war, auf die Bühne gehen würde, und konnte somit getrost alles an Status außerhalb des Cafés ausblenden. In manchen Nächten soll es kein einziges „Please pass the mic“ zu hören gegeben haben.
All das passierte zu einer Zeit, in der Rap sich, beginnend in L.A., grundlegend ändern sollte. Mit der von Dr. Dre gecasteten Gruppe N.W.A. wurde das, was später als Gangsta-Rap bekannt wurde, erstmals kommerziell interessant und South Central in den Medien zum Sodom und Gomorrha Amerikas. Ironischerweise zeigten N.W.A., die ja durch ihre Musik reich wurden, und die bald mit Goldketten aus glänzend polierten Lowridern stiegen, in ihren Texten, dass man eben nicht mit Musik das schnelle Geld macht, sondern mit Drogen, Gewalt und kompromissloser Haltung gegenüber einer grundsätzlich rassistischen Gesellschaft. Mit dem Good Life Café, wo der größte Teil der Anwesenden wohl nicht nur indirekt mit diesem Leben in Berührung gekommen war, bildete sich nun ein Gegenideal: Von der Last befreit, sich Gedanken über den großen Durchbruch machen zu müssen, und durch die von B. Halls Idealismus geprägte Umgebung unterschwellig unterstützt, konnte sich die Energie der Anwesenden einzig auf die Skills der Rapper konzentrieren. Und geflucht werden durfte ja eh nicht. Was hier innerhalb weniger Jahre an Gewicht gewann, war nicht weniger als eine der Grundfesten der Indie-Kultur: Ganz egal, ob dich die Medien hypen, wenn du im Good Life „Please pass the mic!“ zu hören bekommst, gehst du besser schnell und unauffällig nach Hause. Üben. Der Nächste, bitte. Was in Seattle im Schatten von Nirvana und Pearl Jam entstand, fand im Kleinen parallel und ebenfalls neugierig beobachtet in der Heimat von N.W.A. statt.
In das Cafè passten damals wohl gute 50 Zuschauer, doch sein Ruf allein reichte aus, um die doppelte bis dreifache Menge an Menschen auf den Parkplatz zu locken, wo sich unzählige Cipher bildeten und Rapper beweisen mussten, dass sie, wären sie reingekommen, auch auf der Bühne bestanden hätten. Die Stars der ersten Jahre, sind bis heute Legenden geblieben: Freestyle Fellowship. Myka 9 nannte sich in den 80ern noch Microphone Mike und lernte seine späteren Bandkollegen Aceyalone und Self Jupiter schon in der Grundschule kennen. Nachdem seine Eltern sich keine Trompete leisten konnten, er aber unbedingt Musiker werden wollte, begann er an und mit seiner Stimme zu arbeiten. Bald gründeten die drei Freunde die MC Aces und in der zehnten Klasse lernten sie P.E.A.C.E. kennen, der darauf aufmerksam gemacht worden war, dass da noch jemand wie er rappte: eben Mikah. In kurzer Zeit machten die vier, nun als Freestyle Fellowship, sich mit ihren imposanten Live Auftritten und Tapes, die sie danach verkauften, einen Namen. Keiner hörte sich damals so an, beherrschte das schnelle Rappen, verbunden mit rhythmischen Spielereien und teils afrozentrischen, teils frei assoziierenden Texten wie sie. Wer das Neueste hören wollte, wusste nun, wo es zu suchen war. Big Daddy Kane’s Fast Rap Single „Wrath of the Kane“, eben noch Inspirationsquelle aller nach Neuem Suchenden, wirkte auf einmal steif und hölzern.
Im Good Life trafen sich mittlerweile die Rebels of Rhythm und das Unity Committee (beide zusammen später Jurassic 5), Will I. Am oder Digital Underground. The Pharcyde machen hier erstmals von sich Reden, Xzibit, Ice Cube, Snoop Dogg und Lenny Kravitz wurden gesichtet, doch die Stars der Szene blieben vorerst Freestyle Fellowship, die dort ihr erstes Album „To Whom It May Concern“ live zur Musik von Tapedeck vorstellen. Was diese 50 Minuten, unterteilt in 18 Songs, mit unserer Vorstellung von Rap angestellt haben, ist aus heutiger Sicht so wenig einschätzbar, wie es damals vorauszusehen war. Immer wieder erwähnt wird, wenn es um diesen Abend geht, der Song „7th Seal“, der Solo-Track von Mikah 9. Hört man die knapp 5 einhalb Minuten heute wieder, wird man das Gefühl nicht los, dass dieser eine Song wirklich eine komplette Generation von Rappern hervorgebracht hat. Ellay Khule meinte dazu in einem Interview, dass Rapper kurz darauf anfingen, den Song nicht nur auswendig zu lernen, sondern ihn zu studieren, zu analysieren wie eine Partitur für modernen Rap. „That made everybody say ‘I can’t rap like so-and-so no more. I can’t be in the 80s, now we movin’ to the 90s.“
Die Sessions im Good Life Café endeten 1993 und angeführt von Aceyalone begann das „Afterlife“: In Sichtweite des Leimert Parks startete das „Project Blowed“, was später als die dunkle Seite des Good Life bekannt wurde.
Hier durfte geflucht werden, und hier wurde auch das erste offizielle Album der Fellowship, „Innercity Griots“, vorgestellt. Spätestens mit diesem schafften sie es, endgültig über die Stadtgrenzen L.A.s hinaus bekannt zu werden, doch trotz Singles wie „Hot Potato“ oder „Inner City Boundaries“ konnten sie ihr Label nicht überzeugen. Island verlor das Interesse, Self Jupiter ging für 4 Jahre wegen bewaffnetem Raubs ins Gefängnis und Mikah konnte zunächst einen Deal mit Capitol Records landen, wo kurz darauf auch Aceyalone eine neue Heimat fand. Dieser stellte sein Debut „All Balls Don’t Bounce“ zuerst fertig und wurde in der Folge zum einzig bekannten Solisten der Fellowship. Mikah dagegen nahm zwar genügend Songs für 2 Alben auf, durchgewunken wurden davon jedoch nur drei, was für ihn bedeutete: Please pass the mic. Die folgenden Jahre über verbringt er auf Bühnen und in Studios und perfektioniert einen Style, der ihn schon in frühen Jahren unantastbar gemacht hatte, und der erst mit einer kleinen Geste für alle sichtbar und verständlich wurde: Er fing an, während des Rappens mit seinen Fingern ein vorgestelltes Saxophon oder eine Trompete zu spielen, wechselte dazu Tonlagen, Phrasierungen und Reimschemata, spielte mit Synkopen und perfektionierte das Choppen seiner Sätze, bis in den alten Kategorien nicht mehr so wirklich von Rap oder Scat oder Gesang gesprochen werden konnte. Kurzum: Er wurde zur Underdog Legende.
Und so erklärt sich auch, wieso die Geschichten um den Rapper Myka Nyne so gern erzählt werden: Wie er Ende der 80er als Ghostwriter zwei Songs für das N.W.A. & The Posse Album schrieb, wie Busta Rhymes sich respektvoll nach ihm erkundigt haben soll, nachdem er seine Songs vorgespielt bekommen hatte (und wie sich daraufhin dessen Style auf der zweiten Leaders of the New School veränderte), wie Myka’s Bekannter Eazy E seinen neuen Signings Bone Thugs and Harmony „Mary“ auf Repeat vorspielte und als Blaupause für deren Rap darlegte, usw. Was man in Myka Nyne sehen möchte, ist das große Talent, das es einfach nicht nach oben schaffen darf, dessen Erfolge andere, weniger Talentierte ausleben, während er Klassiker wie „Park Bench People“ über seine sechs Wochen als Obdachloser im Leimert Park vor sich hin freestyled. Man wünschte, er würde ihnen den Boden auf dem sie stehen, den er gelegt hat, wieder unter den Füßen wegziehen, und weiß doch gleichzeitig, dass das so überhaupt nicht zu ihm passt, dass er genau das nie tun könnte, nie tun wird. Mit wem würde man sich lieber identifizieren?
Von 1999 an veröffentlichte Myka nun in lockerer Folge einige Solo-Alben, tauchte immer wieder als Feature Gast auf und ist wohl mittlerweile eine der wenigen Word-Of-Mouth Legenden, die mit immer neuen Releases nicht nur unvergessen sondern auch relevant bleiben. 2003 wurde South Central L.A. offiziell in South L.A. umbenannt, um die blutige Vergangenheit eines der ersten Schwarzenviertel vergessen zu machen, in dem noch heute 50% Afro-Amerikaner und über 40% Latein-Amerikaner zusammen mit Koreanern, Indern und Philipinos Stadtbild und Kultur prägen. Wer wissen will, warum trotz aller offiziellen Bemühungen immer noch von South Central gesprochen wird, und was damit gemeint ist, der wird an den Songs der Fellowship nicht vorbeikommen. Grade kommt zudem die Dokumentation „Livin’ the Good Life“ in die amerikanischen Kinos und Myka veröffentlicht zusammen mit Produzent Factor das nach seinem Geburtsjahr benannte Album „1969“. Für das nächste Jahr sind ein elektronischeres Solo-Album sowie Releases mit u.a. den Magic Heart Genies geplant, während das Project Blowed in sein 15tes Jahr geht und wir weiter auf ein neues Freestyle Fellowship Album hoffen wie auf ein elftes Gebot.
http://www.myka9.com/Published in DEAD Magazine Issue VI
Text: Jens Essmann
Foto(s): Fake Four Inc., Kaid Ashton
Tags: Freestyle Freestyle Fellowship History Los Angeles Myka 9