
Strange Famous – Family Business
Sage Francis ist wohl nicht zuletzt durch seine 3 Maßstäbe setzenden Alben eine der profiliertesten Gestalten im Indie-Rap geworden – seine Fähigkeiten als Selbstdarsteller und vor allem auch als Geschäftsmann werden darüber oft vergessen.
Über sinkende Plattenverkäufe zu reden, scheint derzeit immer müßiger, interessant dagegen ist, wie es ein kleines Label, das 1996 als Briefkasten für Sage Francis´ Demotapes begann, vollbrachte, den Konzern-Riesen Warner auszuspielen: Nachdem man es geschafft hatte, den in Kanada auf ebendiesem Major gesigneten Buck65 davon zu überzeugen, dass Strange Famous der bessere Partner für den US-Vertrieb sei, verkaufte sich dessen Album „Situation“ – unterstützt von einer groß angelegten US-Tour und einer Telefonaktion, bei der Label-Chef Sage Francis die Besitzer unzähliger Plattenläden persönlich anrief – besser als die vorherigen US-Releases über Warner. War das nun das Gesellenstück des in seiner derzeitigen Größe noch jungen Labels, folgen nun zwei Releases noch relativ unbekannter Künstler: “The Ugly Truth” von Prolyphic & Reanimator sowie “The Failure” von B. Dolan. Beide können zeigen, wie das Label funktioniert und unter Umständen wird sich an ihrem Erfolg absehen lassen, welche Wege Indie-Labels derzeit gehen können…
Prolyphic & Reanimator
Was zuerst am Künstler-Kreis von Strange Famous auffällt: Alle scheinen sie durch Freundschaften mit einander verbunden, und / oder kommen aus der selben Gegend Amerikas, aus der auch Sage Francis stammt: Rhode Island ist der kleinste Staat der USA, gelegen in deren Nord-Osten, nahe Kanada, und ziemlich eingeklemmt zwischen Connecticut und Massachusetts; einzig ein paar Insel-Ableger greifen aus dem schmalen Streifen Land in den atlantischen Ozean.
Dort begann auch die Rapkarriere von Prolyphic – bereits als 15-Jähriger klapperte er die Bühnen des Landes ab, und bereits damals knüpfte er Kontakte zur noch jungen und rap-affinen Anticon-Crew – Sole behauptet bis heute, ihn schon zu diesem Zeitpunkt unter Vertrag genommen haben zu wollen. Doch einzig der Kontakt zur damaligen Lokalberühmtheit Sage Francis blieb bestehen, und nachdem dieser das x-te Demotape zugesandt bekommen hatte, war er es auch, der Prolyphic sowohl einen Vetrag mit seinem Label als auch die Zusammenarbeit mit dem Chicagoer Produzenten Reanimator vorschlug. Der bekam nun in immer regelmäßigeren Abständen Vocal-Spuren aus Rhode Island in den Briefkasten, die er dann zu fertigen Songs remixte. Beide hatten sich noch nicht einmal getroffen, als Monate später die erste Version von “The Ugly Truth” entstand. Einen Festplattencrash später, nach insgesamt 3 Jahren Arbeit, gibt es nun die offizielle, zweite Version des Albums, plus einige Fotobeweise dafür, dass Reanimator nicht nur ein „schwebender Nebel“ ist, wie Prolyphic das noch vermutete, als er in Chicago einzig als Stimme existierte…
Und das Warten hat sich gelohnt, denn sowohl die detailverliebte Sample-Kunst Reanimators als auch rotzig-wütenden Raps von Prolyphic scheinen davon nur profitiert zu haben. Klangen dessen Stimme und Flow auf älteren Releases oft noch etwas bemüht und waren seine Texte da und dort mehr Aus- als Einblicke auf einen talentierten Rapper, zeigt er sich auf “The Ugly Truth” als versierter Erzähler und kritischer Beobachter, der seine Kunst ernst nimmt und sich nicht hinter lauen Entschuldigungen verstecken mag: “I don´t do this on the side or do this in my spare time”. Dass er einen Job zum überleben braucht, ist kein Geheimnis, dass es keine Szene gibt, der man hinterherweinen müsste, ebenso wenig. Der Frust, der sich zwischen Arbeit und Schlafzimmer aufgebaut hat, die Wut des Einzelnen ist es, für die Prolyphics Musik einsteht. “Throw your hands up for everything you can´t touch.”
Ich spielte eine Show in Denton, Texas, und brachte eine Strophe, die ich über Alkohol-Missbrauch geschrieben hatte. Es waren nur so 10 bis 15 Leute da, und nach meinem Set kam ein Mann, 24 oder 25 Jahre alt, auf mich zu und erzählte mir, dass er, nachdem er mich gehört hatte, aufhören wollte zu trinken. Er war wohl seit Jahren dabei, sich stetig, ohne Rücksicht weiter volllaufen zu lassen, schien hoffnungslos. Sein Entzug begann nun mit einer vollen Flasche Alkohol, die er vor mir auf die Strasse kippte.
Für was also, außer für die eigene Befriedigung, lohnt es zu schreiben? – “Ich spielte eine Show in Denton, Texas, und brachte eine Strophe, die ich über Alkohol-Missbrauch geschrieben hatte. Es waren nur so 10 bis 15 Leute da, und nach meinem Set kam ein Mann, 24 oder 25 Jahre alt, auf mich zu und erzählte mir, dass er, nachdem er mich gehört hatte, aufhören wollte zu trinken. Er war wohl seit Jahren dabei, sich stetig, ohne Rücksicht weiter volllaufen zu lassen, schien hoffnungslos. Sein Entzug begann nun mit einer vollen Flasche Alkohol, die er vor mir auf die Strasse kippte.” Ob diese eine Strophe mehr als einen Abend rettete, blieb unbekannt. Für Prolyphics Schreiben ist dieses Erlebnis, egal wie kurz, bezeichnend: „The only thing my words serve is a purpose.“
B.Dolan
Auch Bernard Dolan stammt aus Rhode Island, zog aber, knapp volljährig, nach New York, um sich dort als Schriftsteller zu beweisen. Nachdem er, Frischling der er war, in einem Café wahllos aus einem seiner Notizbücher vorgelesen hatte, wurde er auf die damals wachsende Poetry Slam Szene aufmerksam gemacht, zu der er nach einigen Besuchen im Nuyorican Café, Brooklyn, Anschluss fand. Während seine Kritik an der selbstverliebten Szene die folgenden Jahre über wuchs, gewann er einige Slam-Titel, viele Fans und wenige Freunde – drei Jahre später zog er sich “angewidert” zurück.
Ein erneuter Neustart: Um es nicht nur bei den Worten zu belassen, nur einer mehr zu sein, der über Politik schreibt und schreit, ohne selbst Einfluss zu nehmen, gründete Dolan das “Open Mics Project”, ein Programm für Problemkinder, das ihnen über die Verbindung zum HipHop Zugang zu den Künsten Selbstvertrauen und Halt schaffen sollte. Etwa um diese Zeit erschien auch eine erste Version von “The Failure” – damals noch eine selbstgebrannte Doppel-CD, überladen mit Gedichten, wütenden Ansprachen, fragmentarischen Songs und Raps.
Ich sehe mich in gleichen Teilen als Künstler und als Aktivist, glaube, dass das auch gar nicht anders möglich ist, ohne mich selbst dabei zu belügen. Vielleicht ist das erste meine Leidenschaft und das zweite meine Pflicht.
Dolan zog es kurz darauf zurück nach Rhode Island, wo er über die dort wesentlich intimere Slam-Szene Kontakt zu Sage Francis fand, mit dem er vor knapp 3 Jahren “Knowmore.org” gründete: Eine Website, deren Maschinerie an die von Wikipedia angelehnt ist (wobei hier wesentlich mehr Kontrolle auf die Inhalte ausgeübt wird), und die sich zur Aufgabe gesetzt hat, alles an Informationen über Großkonzerne zu sammeln, was für den Konsumenten relevant ist. “Wir bewerten die Konzerne nach den Rechten, die die Arbeiter besitzen, der dortigen Menschenrechtslage, dem politischen Einfluss, der von ihnen ausgeübt wird und ihrem Geschäftsgebahren.” – “Ich sehe mich in gleichen Teilen als Künstler und als Aktivist, glaube, dass das auch gar nicht anders möglich ist, ohne mich selbst dabei zu belügen. Vielleicht ist das erste meine Leidenschaft und das zweite meine Pflicht. Der Aktivist B.Dolan denkt zum Beispiel, dass Großkonzerne hinter allem stecken, B. Dolan der Künstler glaubt da mehr an gestaltenwandelnde Mensch-Reptilien-Wesen – See the difference?”
Die Brücke, die er nun zwischen beidem zu schlagen versucht, sieht man – bisher leider fast ausschließlich in Amerika – in seiner Live-Show, die mehr an die Freakshows früher amerikanischer Wandertheater denn an ein Rap-Konzert oder einen Poetry Slam erinnern. Einer der vier Kern-Charaktere, die Dolan dabei spielt, ist Evel Knievel, der in den 60er und 70er Jahren durch gewagte Stunts auf seinem Motorrad zum Nationalhelden wurde. Mehr als 25 Jahre später wird er für Dolan zur Erscheinung: “Ich fuhr grade von einer Show heim, als ich im Radio eine von Evels Pressekonferenzen hörte. Ich kannte seine Stimme noch nicht, war aber wie hypnotisiert sowohl von seiner Art zu sprechen, als auch von dem, was er da erzählte. Er hatte einiges, wirklich ergreifendes über Leben und Tod zu sagen, und das als jemand, der sein Leben eine Karriere lang professionell riskiert hatte. Ich verbrachte danach ein Jahr damit, obsessiv Informationen über ihn zu sammeln und schrieb das Gedicht “The Skycycle Blues”. Auf der Bühne tritt Dolan nun im weißen Overall Knievels auf, wenn er den “Skycycle Blues” vorträgt – ein biographisches Langgedicht, in dem der Stuntman sich als Performance-Künstler der Nachkriegsgeneration zwischen Leben und Tod wirft: “This helmet / is to protect me / from my own momentum / This costume / is to protect the crowd / from the realness of what is happening here / I am calling on death / and she comes growling and snapping out of her cage / and opens her jaws up wide on both sides of my landing ramp”.
Derzeit arbeitet Dolan an einer größeren, Varieté-artigen Live-Show, einem Rap-Album und er hat den Skript zu einem Horrorfilm, den Michael Corrente produziert, geschrieben.
Strange Famous
Wenn es also, neben den meist kantigeren Persönlichkeiten, einen Unterschied zwischen Major- und Indie-Labels gibt, dann scheint dieser in der Zeit und Aufmerksamkeit zu liegen, die den Künstlern dort zuteil wird. Sage Francis nutzt seinen, auch über das Epitaph-Label, das seine neueren Alben vertreibt, gewonnen Einfluss, um Strange Famous auf eigenen Beinen stehen zu lassen. B. Dolan: “Es ist wirklich wie ein Familienunternehmen. Wenn wir nach Hilfe suchen, setzt Sage keine Anzeige in die Zeitung. Die Leute, die hier arbeiten, sind meist schon seit Jahren in unserem Umfeld. Alles ist sehr herzlich, eng verwoben… wie Omis Strickpullover.”
Was sich hier also zu etablieren beginnt, ist wohl das, was der „Szene“ – wenn es sie denn doch geben sollte – zu fehlen scheint: Ein verlässlicher Geschäftspartner, der aus der Nachbarschaft aller Mitglieder stammen könnte und auch mit fast allen schon mal einen Winterurlaub verbracht hat. Die nicht anhalten wollenden Gerüchte über so ziemlich jeden Indie-Rapper, bald auf SFR gesigned zu werden, erinnern schon sehr an die Hochzeiten von Anticon. Wenn es nun etwas gibt, das einen dabei befremdlich stimmen könnte, dann wohl dass sowohl das Logo als auch der Labelname (eines seiner bekanntesten Spoken Words) zu aller erst auf Sage Francis verweisen, der sein Gesicht nur scheinbar schützend notdürftig aus-x-en ließ.
http://www.strangefamousrecords.com/Published in DEAD Magazine Issue V
Text: Jens Essmann
Foto(s): Strange Famous
Tags: B. Dolan Prolyphic & Reanimator Strange Famous